Der Tod kommt nachts … (4,5 Leselokomotiven)

Die geneigte Leserin weiß: Wenn man ein Buch von Ruth Ware (zuletzt: »Das Chalet«) zur Hand nimmt, dann wird es beklemmend, thrillig und auf jeden Fall pageturnend. »Das College« bildet hier keine Ausnahme. Wo Ruth Ware drauf steht, ist eben Ruth Ware drin.

Exzentrikerin Paris, Aufsteigerin Hannah, Superbrain Emily, Charismatiker Will, Spaßvogel Ryan und der schüchterne Hugh – vor 10 Jahren formten sie am Oxforder Pelham-Collage eine zwar inhomogene, aber verschworene Clique. Bis April, eigentlicher Mittelpunkt der Gruppe, eines nachts von ihrer Mitbewohnerin Hannah ermordet aufgefunden wird. Für das Verbrechen wandert Pförtner John Neville hinter Gitter. Der war bereits vorher durch unangenehme Bemerkungen und Handlungsweisen aufgefallen, von Hannah wurde zudem beobachtet, wie er in der Mordnacht um den Tatort herumschlich. Der vermeintliche Mörder jedoch beteuert vehement seine Unschuld, die er über Jahre hinweg mit allen Mitteln zu beweisen sucht. Nevilles plötzlicher Tod durch einen Herzinfarkt mischt die Karten neu: Bereitwillig aufgegriffen durch die Presse steht die Frage nach einem möglichen Justizirrtum im Raum.

Hannah und Will, Aprils Ex-Freund, sind inzwischen verheiratet und erwarten ein gemeinsames Kind.  Dadurch, dass sie mit ihrer Aussage maßgeblich zur Verurteilung des Mörders beitrug, gerät Hannahs ohnehin fragile Existenz, die sich (wie im übrigen das Buch) in ein »Davor« und ein »Danach« aufteilt, weiter in Schieflage. Verdrängtes strebt an die Oberfläche, und ihr wird klar, dass sie sich der Vergangenheit stellen muss, wenn sie weiterleben will. Was am Ende zutage tritt, ist allerdings so unerwartet und voller Nervenkitzel, dass ich selbst als passionierte Thriller-Leserin sage: Das war krass!

Nicht nur ein spannendes, sondern zugleich ein sehr kluges Buch über menschliche Abgründe und die komplexe Frage, wem und was man eigentlich (ver-)trauen kann. Die Figuren sind zwar Typen, also solche aber intensiv und glaubwürdig gezeichnet, Protagonistin Hannah wirkt in ihrer Verletzlichkeit sehr nahbar. Ruth Ware hat mich mit all ihren Büchern begeistert, von Titel zu Titel ist fast etwas wie eine literarische Freundschaft entstanden. Das Beste: Sie vermag mich immer wieder zu überraschen. Darum sage ich auch zu »Das College«: Daumen hoch!

Buchtipp von Astrida Wallat